Baukultur am Wattenmeer

Schon zu Beginn der Jungsteinzeit begannen die Menschen, sich am Wattenmeer niederzulassen. Auf dem hohen Geestrücken waren sie vor Sturmfluten sicher. Ab dem Ende der Bronzezeit entstanden die ersten verstreuten Bauernhöfe, und nach und nach bildeten sich Dörfer heraus. Die meisten Siedlungen am Wattenmeer sind daher Jahrtausende alt, und bereits im frühen 7. Jahrhundert diente Ribe als Marktplatz für die Region.

Um 1200 begann man, Bauernhöfe auf natürlichen Moränenkuppen in den Marschen und später auf künstlichen Erhebungen, den so genannten Werften, zu errichten. Heute sind im dänischen Wattenmeergebiet 60 Werften erhalten.

Eines der ältesten Werftgebiete ist Ved Åen in Tøndermarsken, wo einst zehn Höfe standen. Die meisten Werften haben nur einen Hof, aber die Dörfer Ubjerg und Rudbøl zum Beispiel liegen auf Dorfwerften. Die nördlichste Siedlung auf einer Werft im Wattenmeergebiet war das Dorf Misthusum in Ballummarsken. Das Dorf wurde im 13. Jahrhundert gegründet, aber 1634 und 1720 durch Sturmfluten zerstört. Kurz nach 1800 wurde das Dorf aufgegeben, aber die Werften sind immer noch in der Landschaft zu sehen.

Die Marktstädte Tønder und Varde entstanden ebenfalls im Mittelalter, und ihre Lage hängt mit der Schifffahrt zusammen, da sie an großen, schiffbaren Flüssen errichtet wurden. Vor dem Bau der Deiche hatte Tønder leichten Zugang zum Meer, während Varde von den Verladestellen in Janderup, Hjerting und Ho abhängig war.

Um 1400-1500 befand sich in der Ho Klitplantage eines der größten Fischerdörfer Nordeuropas, Sønderside, das in der Sturmflut von 1634 unterging.

Ab dem 18. Jahrhundert wurden in der Wattenmeerregion gemauerte Häuser mit einem Fundament üblich. Vor allem nach der Sturmflut von 1634 verbreitete sich der Backsteinbau von den Niederlanden aus an der Wattenmeerküste. Aber auch Stadtbrände zerstörten viele der mittelalterlichen Fachwerkhäuser, unter anderem in Varde, was ebenfalls zur Verbreitung des Backsteinbaus beitrug. Im südlichen Teil Jütlands in der Wattenmeerregion wurde das schleswigsche Bauernhaus ab dem 18. Jahrhundert charakteristisch.Diese Höfe waren ursprünglich strohgedeckt und wurden in der Regel aus Lehmziegeln gebaut, die in den örtlichen Ziegelöfen gebrannt wurden. Der Hof bestand aus einem Haupttrakt mit Stall und Wohnräumen, die durch einen Querraum getrennt waren, aber auch mehrere Nebengebäude konnten vorhanden sein. Eine Besonderheit waren die innenliegenden Dachpfosten, die das Gebäude widerstandsfähiger gegen Sturmfluten machten. Es handelte sich um eine clevere Konstruktion, bei der das Dach von Pfosten und nicht von der Hauswand selbst gestützt wurde - wenn also die Hauswand einstürzte, blieb das Dach stehen. Außerdem hatten viele Höfe eine Luke, das sogenannte Arkengaf, über der Eingangstür. Diese ermöglichte den Zugang zum Heuboden und sicherte den Zugang unter dem brennbaren Strohdach. Viele Bauernhöfe im nördlichen Teil hatten ebenfalls Arkengafs. Fachwerk war hier bis etwa 1800 üblich, doch danach wurden fast alle Gebäude mit Grundmauern errichtet. Das Bauernhaus wurde in der Regel als erstes umgebaut, gefolgt von den anderen Flügeln. Das Ideal war der Vierflügel-Hof mit einem geschlossenen Innenhof. Die meisten Anwesen hatten jedoch zwei oder drei Flügel, die kleineren nur einen Flügel mit Wohnung und Stall an beiden Enden. Der Hof Klægager vom alten Deichgrafen in Ballum ist ein schönes Beispiel für einen Vierflügel-Hof.

In den späten 1800er Jahren entstand die neue Stadt Esbjerg. Die Häuser der Stadt wurden im historisierenden Stil der damaligen Zeit gebaut und spiegeln eine Mischung aus früheren Stilen wider. 1870 erhielt die Stadt einen Stadtplan, der auf einem klassischen Stadtplanungsprinzip mit rechteckigen Blöcken in einem rechtwinkligen Straßenraster basierte, das ein Zentrum um den Hafen, die Eisenbahn und den Marktplatz bilden sollte. Der Jugendstil, der Architektur und Kunstgewerbe miteinander verbindet, ist in der Architektur entlang des Wattenmeeres um 1900 zu finden, wobei das Haus Lundvej 39 in Varde ein schönes Beispiel ist. Auch auf dem Land und in den Dörfern gibt es Jugendstilhäuser und -details, zum Beispiel in Hjerpsted. In den frühen 1900er Jahren wurde ein Heimatstil populär, der sich durch gute Materialien und solide Handwerkskunst auszeichnet. In Møgeltønder und Umgebung entwarf der örtliche Gutsinspektor Häuser in diesem Stil. In Dänemark entwickelte sich der Stil durch die Nationale Vereinigung für bessere Baupraxis. Dänische Architekturstudenten hatten sich bei Vermessungsreisen nach Møgeltønder und an die Westküste von dem ländlichen Baustil inspirieren lassen.

Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Wattenmeerinseln vor allem für deutsche Badetouristen zum Ziel, und in Lakolk auf Rømø wurde die erste Ferienhauskolonie im dänischen Wattenmeergebiet errichtet. 37 Blockhäuser wurden in den Dünen errichtet. Sie sahen aus wie Berghütten mit geschnitzten Dachsparren. Einige von ihnen sind noch vorhanden, und man kann sich noch ein Bild davon machen, wie die Badekolonie um 1900 aussah. Auch in der ersten Dünenreihe von Fanø Bad kann man noch einige der alten Ferienhäuser sehen. Aber ansonsten sind viele der alten Gasthäuser und palastartigen Badehotels abgerissen und durch moderne Ferienzentren ersetzt worden.

Vielerorts an der Wattenmeerküste sind ältere Häuser noch sehr gut gepflegt und schön erhalten.

In Ribe ist der alte Ortskern noch von Häusern mit Fachwerk oder Grundmauern aus dem späten 16. bis frühen 19. Jahrhundert geprägt. Die Häuser stehen dicht gedrängt in Blöcken, oft mit den Giebeln zur Straße hin.

Auch das Stadtzentrum von Tønder ist noch vom mittelalterlichen Stadtgrundriss mit schmalen Parzellen und Giebelhäusern geprägt, besonders die Seitenstraßen Spikergade und Uldgade sind einen Besuch wert.

In Varde können Sie die Jacobi-Kirche besichtigen, die das einzige Gebäude ist, das seit dem Mittelalter in Varde steht. Zwei Brände in den Jahren 1779 und 1821 zerstörten Teile der alten Häuser von Varde, aber das mittelalterliche Straßenbild ist noch intakt. Nicht nur in den größeren Städten kann man die Baukultur erleben, sondern auch in vielen Dörfern gibt es ältere Gebäude.

Sønderho auf Fanø wurde 2011 zu Dänemarks schönstem Dorf gewählt und hat viele gut erhaltene Häuser aus der Zeit der Segelschiffe.

Auch die Häuser in Møgeltønder entlang Slotsgaden und in Sønderbyen sind sehr gut erhalten.

In Ballum führte eine Spende der A.P. Møller-Stiftung im Jahr 2009 zu einem großen, zusammenhängenden Renovierungsprojekt der alten Häuser, das ebenfalls einen Besuch wert ist.

In Højer hat die Initiative Tøndermarsk die Stadt sehenswert gemacht. Hier kann man in den neu renovierten Häusern Spuren sowohl deutscher als auch dänischer Architektur sehen, ein Zeichen für die wechselhafte Geschichte der Stadt.